Als im September ein zu früher erster Orkan über die Halligen fegt, erstaunt das sogar die alteingesessenen Halligbewohner. Jetzt, eine Woche danach, ist alles wieder ruhig und man kann kaum glauben, wie ein Land-unter hier aussehen muß. Der frühe Orkan hat den Zeitplan zum Abtransport der Kühe durcheinander gebracht. Die müssen jetzt schnellstens mal auf das Festland, wo sie überwintern. Nach unserer Ankunft ist das dann auch so ziemlich das erste, was unsere Zimmerwirtin erzählt. Klar, das wir anbieten, zu helfen. Was das für ein Stress wird, war uns Landratten ja nicht klar.
Wir fahren in der Nachsaison nach Langeneß. Die Hallig macht ihrem Namen alle Ehre. 10 km ist sie lang, dafür sehr schmal. Ein winzig kleiner Hafenkiosk hat noch geöffnet. Hier gibt es einzelne Teebeutel für den Notfall, kleine Fläschchen Rum und auch mal eine Tafel Schokolade. Alles weitere sollte man dabei haben, denn der Kaufmann hat für dieses Jahr schon geschlossen. Zwei Restaurants versorgen die verstreuten Touristen mit Essen. Unser Ferienhaus steht genau am anderen Ende der Hallig, logisch, oder?
Egal, unsere Pensionswirtin holt uns von der Fähre ab und ist dankbar für unser Angebot, beim Viehtrieb zu helfen, sollte sie nicht genügend andere Freiwillige finden. Zunächst mal schauen wir uns jetzt auf der Hallig um.
Wir haben Glück. Eine Woche nach dem Orkan ist das Wetter bilderbuchmäßig. Von unserer Ferienwohnung auf der Hunnenswarf, machen wir uns auf den Weg zum Lorenplatz der Hallig, vorbei an der Bandixwarf. Hier „entschleunigt“ man echt, oder? Das Wort find ich eigentlich furchtbar, aber zum Leben auf der Hallig fällt mir nichts Passenderes ein. Eine Strasse, Wiesen, Wasser, ab und zu eine Kuh. Das war’s.
Der Nachbar auf der Hallig kann sich ein Leben am Festland nicht vorstellen, sagt er. Ich finde es ja mitunter schon jetzt etwas eintönig. Nicht mal „bummeln“ gehen kann man. Er jedoch sagt, er und seine Frau fahren jeden Samstag in die Großstadt auf’s Festland, eine Stunde nur mit der Lore. Tja, da kann man nichts gegen sagen, oder? Ich fand das wunderbar 😀
Auf unserem ersten Spaziergang fällt das Seegras auf, das auf Wiesen liegt und in Zäunen hängt. Die Hinterlassenschaften des letzten Land-unter. Wenn das Wasser abläuft, bleibt das halt liegen und hängen. Alles wird einzeln abgezupft, da sonst der Strom nicht richtig in den Zäunen fließt. Und beim nächsten Land-unter? Alles von vorne. Ich schätze, zu tun gibt es hier immer.
Ein Großteil des Viehbestandes wurde bereits für den Winter von der Hallig auf das Festland gebracht. Das geschieht im Viehtransporter über die Autofähre. Einige der ganz robusten Tiere überwintern auf Langeness. Der frühe Orkan hat jedoch die Kühe auf Oland überraschend abgeschnitten. Die Weiden sind abgegrast, die Kühe sollten schon längst runter sein.
Oland und Langeneß verbindet ein Lorendamm, der auch bei Flut befahren werden kann, sehr praktisch. Oland ist 6 km von Langeneß entfernt. Kühe können im Notfall und einzeln tatsächlich auch mit einer Lore transportiert werden. Um Kuhherden von Oland abzutreiben, wäre das jedoch echt keine Lösung.
Daher werden die Herden über das Watt nach Langeneß getrieben, von wo aus auch sie mit dem Viehtransport und der Autofähre auf das Festland gebracht werden.
Aber so weit ist es noch nicht. Unsere Pensionswirtin ruft an und sagt, wenn unser Angebot noch steht, so käme sie gerne darauf zurück. Tja, spannend. In meinen ganzen Jahren in Bayern hab ich es nicht mal als Zuschauer zu einem Viehscheid geschafft. Kaum bin ich an der Nordsee, fühl ich mich wie Heidi, nur das wir hier Kühe treiben sollen. Und die sind um einiges größer als Ziegen…
Egal, wir machen mit uns werden, als Ebbe kommt, mit der Lore abgeholt, um nach Oland zu fahren.
Wir nähern uns der winzigen Hallig. Zwei qkm ist sie nur groß. Ein paar Häuser, ein kleiner Hafen und ein Deich rundherum. Das war es.
Oland ist ein totaler Touristenmagnet, weil die Häuser einfach bilderbuchmäßig niedlich aussehen. Unglaublich, dass die Menschen hier „echt“ wohnen. Punktuell werden sie überlaufen von Menschenmassen, die durch die Dorfmitte strömen und dann ist wieder unfassbare Ruhe. Als wir in Oland ankommen, haben wir noch ewig Zeit, da das Wasser für die Kühe noch zu hoch steht. Wir sitzen am Fething, dem Speicherbecken für Süßwasser, und warten.
… und warten… Da denk ich so über meine Kleidung zum Viehabtrieb nach. Ich hab ja gedacht, dass ich mit meiner Gummihose ganz besonders schlau war und sicher super trocken durch das Watt kommen werden. Wissende Blicke und vereinzelte Hinweise belehrten mich aber jetzt schon eines Besseren. Priele bringen Wasser von unten, nicht von oben, das weiß ich jetzt auch.
Okay, es geht los. Wir haben die Anweisung, unsere Zaunkordel, die wir alle tragen werden, nie zu hoch und nie zu tief zu halten, damit die Kühe nicht durchbrechen. Außerdem sollen wir die Tiere durch die Priele treiben, da sie Wasser nicht mögen und sonst stehen bleiben. (Ich kann sie gut verstehen).
Zudem, Anweisung mit Nachdruck: Unter allen Umständen vermeiden, dass die Kühe nach Norden ausbrechen. Sie würden ins tiefe Wasser laufen und ertrinken. Wenn wir umfallen, würden wir höchstens dreckig. Die Kuh jedoch muß in der Herde bleiben. Oops… ich hatte gedacht, die bleiben sowieso in ihrer Herde. Warum sollten wir umfallen und die Kühe ertrinken? Ich malte mir sofort alles in den düstersten Farben aus. Was für eine Verantwortung! Weder wollte ich von einer Kuh umgeschubst werden, noch sollte eine ertrinken, weil ich im Watt stecken bleibe… aber, es war keine Zeit mehr, nachzudenken (zum Glück). Die Ebbe war da, wir ergriffen unsere Stöcker und marschierten zum Feld.
Die Kühe sahen uns. Die sind ja echt nicht dumm. Sofort fing großes Muhen an, auch von der Nachbarwiese. Alle versammelten sich solidarisch am Zaun..
Wir wurden mit unserer dünnen Kordel am Wegrand positioniert, um für den Viehabtrieb als laufender Zaun zu funktionieren. Der Bauer schob jeden auf Position, schwor uns zu absoluter Ruhe ein, da die Kühe schnell scheuen (super) und ging, das Gatter zu öffnen.
Wir waren in der Tat genug Leute, so dass die Kühe den richtigen Wegt hinuntergetrieben werden konnten. Sie liefen uns entgegen, hinten schlossen die „Kollegen“ auf und unser lebender Zaun setzte sich in Bewegung. Der Weg war kurz und mündete sehr schnell in die Deichkante.
Die Kühe hatten so was von keine Lust über die steinige Deichkante hinunter in das schmatzende Watt zu gehen. Zumal auch gleich der erste Priel kam. Wir hatten die Anweisungen des Bauers noch im Kopf, zurück gab es nicht, die Herde mußte laufen. Also, antreiben und im Trab (alle, also auch wir) die Deichkante runter, rein ins Watt und, juchee, durch den Priel. Mann, ich war froh, dass da keine tiefen Löcher drin waren, die mir die Gummistiefel von den Füßen gesaugt hätten. Das ich sofort nasse Füße hatte, da die Stiefel natürlich von oben voll liefen, war da echt schon egal.
Die Kühe waren teilweise stoisch, aber teilweise auch echt schlecht drauf. Klar, ist auch anstrengend, so eine Tour über das Watt. Und Wasser lieben Kühe jetzt auch nicht grade. Rätselhaft, wie sie sich allein durch unsere dünne Kordel zurückhalten ließen, einfach wieder umzudrehen. Vielleicht dachten sie an ihren Sommer zurück, als Strom durch diese Zäune lief, mit dem man ja besser nicht in Kontakt kam. Jedenfalls ließen sie sich antreiben und liefen größtenteils in die richtige Richtung.
So ein dünnes Stöckchen ist ja doch eher Makulatur gegen eine große Kuh. Da geht es eher um das „Standing“… so nach dem Motto „Du kommst hier nicht durch“ 🙂 Ich ging, zum Glück, auf der Wasserseite. Die Kühe, die auf der anderen Seite das Land sahen, haben öfter mal versucht, durchzubrechen und waren recht unzufrieden, dass das nicht gelang.
Schmatz.schmatz… sauber bleibt man nicht bei diesem „Viehscheid“. Die Kühe werfen Wasser und Watt auf, man selber taumelt ganz schön, um Gleichgewicht und Geschwindigkeit zu halten. Die Priele waren ein Glücksspiel. Wenn mein Vordermann nicht versunken ist, war dieser Weg für mich auch sicher… 🙂
Mordsanstrengend ist dieser „Almabtrieb“ gewesen. Einerseits die Geschwindigkeit, die man halten muß, damit die Kühe auf keine schlechten Gedanken kommen, dann der saugende Untergrund im Watt und zu allem Überfluß auch noch eine schlickige, sumpfige Algenmasse, die der Orkan vor den Deich von Langeneß gespült hatte. Ich hatte mein Sportpensum nach diesen sechs Kilometern echt erledigt.
In Langeneß steigen wir über die Deichkante und treiben die Tiere dann noch auf dem Lorendamm bis hoch zur Weide.
Hier stürzten sie sich direkt wieder auf das Gras und stehen schon zwei Minuten nach Ankunft da, als seien sie immer hier gewesen.
Erstaunliches Halligleben. So ruhig und dann wieder so aufregend. Wir waren ja nur kurz da, aber wir haben einen tollen Eindruck gewonnen. Und, wir werden sicher auch nochmal hinfahren, wenn auch ohne Almabtrieb. Einmal reicht 🙂
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Sehr gelacht. Möcht auch mal dabei sein.
Mach mal Regina, es lohnt sich 😀